Kollegiatstift St. Otto

Stettin / Szczecin

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Die Gründung des Ottenstifts erfolgte im Zuge des Neubaus der Stettiner Herzogsresidenz durch Barnim III. (vor 1300–1368). Auf dem Stettiner „Schlossberg“, wo wahrscheinlich schon dessen Vorgänger Wartislaw I. (um 1100–vor 1148) und Barnim I. (um 1210/18–1278) zeitweilig Residenzen besessen hatten, ließ Barnim III. 1345 oder 1346 die Bauarbeiten an seinem Herzogssitz beginnen. Kurz darauf wurden die bis dahin errichteten Gebäude der neuen steinernen Wehranlage jedoch von einer aufgebrachten und bewaffneten Gruppe Stettiner Bürger, die eine Einschränkung ihrer Freiheiten und Privilegien befürchteten, wieder zerstört. Durch die Vermittlung des Herzogs von Pommern-Wolgast, Bogislaw V. (um 1318–1373/74), und des Bischofs von Cammin / Kamień Pomorski, Johann I. (um 1318–1370), wurde Barnim das Recht auf den Besitz einer Residenz in Stettin jedoch zugesprochen und am 24. August 1346 vertraglich geregelt, dass die Stettiner Bürgerschaft die Burg wieder aufzubauen habe, und zwar mit einem gemauerten und unterkellerten Wohnhaus („stenhus“), einer Kapelle in der Größe der im Süden der Stadt gelegenen St. Georgskapelle sowie einer Friedhofs- und einer Hofmauer – womit die Baugeschichte des noch heute erhaltenen Stettiner Stadtschlosses begann. Die neue Kirche ließ Barnim am 3. Oktober 1346 dem Bamberger Bischof Otto von Bamberg (um 1060–1139), dem sogenannten Apostel der Pommern, weihen und gründete – neben dem schon seit Langem eingerichteten Marienstift – ein zweites Stettiner Kollegiatstift, das an diesem Ort bis in die Zeit kurz nach der Reformation bestehen sollte.

Die unter dem Stettiner Herzogsschloss bei archäologischen Ausgrabungen erfassten Mauern der Burg Barnims III. mit Ausbauten in der ersten Hälfte des 15. Jhs. 1 – Ottenkirche (zwei Phasen); 2 – Wohnhaus; 3 – Krypta; 4 – Haus mit Rittersaal; 5 – Wehrmauer; 6 – Wirtschaftsgebäude; 7 – Baubeginn des Südflügels; 8 – Latrine; 9 – Stadtmauer / nach Cnotliwy 2014, Abb. 180; Bearbeitung A. Kieseler
Die unter dem Stettiner Herzogsschloss bei archäologischen Ausgrabungen erfassten Mauern der Burg Barnims III. mit Ausbauten in der ersten Hälfte des 15. Jhs. 1 – Ottenkirche (zwei Phasen); 2 – Wohnhaus; 3 – Krypta; 4 – Haus mit Rittersaal; 5 – Wehrmauer; 6 – Wirtschaftsgebäude; 7 – Baubeginn des Südflügels; 8 – Latrine; 9 – Stadtmauer / nach Cnotliwy 2014, Abb. 180; Bearbeitung A. Kieseler

Die Stiftskanoniker von St. Otto

Die Kanoniker des neu gegründeten Ottenstifts – wohl v. a. zur Steigerung des Prestiges seiner Residenz vom Herzog an eben jener angesiedelt – waren in erster Linie mit der Durchführung des Gottesdienstes und des feierlichen Chordienstes beauftragt, wofür sie mit umfangreichen Pfründen ausgestattet wurden. Da das Stift im Kirchspiel des älteren Marienstifts lag und diesem unterstellt war, wurde es nicht, wie sonst üblich, von einem Propst oder Dekan geleitet, sondern von einem Vizedekan, der vom Dekan des Marienstifts eingesetzt wurde. Neben dem Vizedekan gab es noch weitere hohe Stiftsämter, etwa jenes des Kustos‘ oder Thesaurars, der v. a. für die Güter- und Vermögensverwaltung, den Kirchenunterhalt und den Kirchenschatz verantwortlich zeichnete, jenes des Kantors, der sich um den Chorgesang kümmerte, und jenes des Scholasters, der die Ausbildung von Klerikern an der Stiftsschule leitete.

Das Herzogsschloss vor 1575 auf einer Abbildung von 1607 (Autor unbekannt); die Ottenkirche ist mit „k“ markiert / nach Cnotliwy 2014, Abb. 182; Bearbeitung A. Kieseler
Das Herzogsschloss vor 1575 auf einer Abbildung von 1607 (Autor unbekannt); die Ottenkirche ist mit „k“ markiert / nach Cnotliwy 2014, Abb. 182; Bearbeitung A. Kieseler

Vom Gründer wurde das Stift mit mehreren Dörfern und Land, Renten, Mühlen und dem Fischereirecht für das Stettiner Haff umfangreich ausgestattet, sodass es von Anbeginn und dank zahlreicher späterer Spenden und Stiftungen auch Zeit seines Bestehens zu den wohlhabenden geistlichen Einrichtungen Stettins gehörte. Dies belegt auch das umfangreiche Verzeichnis des in der Reformationszeit nach Ueckermünde und Wolgast verbrachten Stiftsinventars. Zu zahlen hatte es hingegen dem Marienstift vierteljährlich eine Mark, dem Bischof von Cammin jedes Jahr eine größere Menge an Wein und Bier.

In der Stiftskirche wurden bis in das 15. Jahrhundert mehrere Angehörige der Herzogsfamilie bestattet, sodass St. Otto neben dem Eldenaer Kloster, der Stettiner Marienkirche und der Wolgaster Petrikirche zu den bedeutendsten Begräbnisstätten des pommerschen Herrscherhauses gehörte. Außer dem Gründer Barnim III. fanden hier dessen Gemahlin Agnes (1318/19–1371) sowie deren Söhne Otto (1333/35–1337) und Kasimir III. (1345/48–1372) ihre letzte Ruhe, des Weiteren Herzog Otto III. (1444–1464), die Frau von Herzog Georg I. (1493–1531), Amalie (1490–1513), und zuletzt Herzog Bogislaw X. (1454–1523). Bei Auflösung des Stifts wurden deren Gebeine in die Marienkirche überführt, später dann wohl in die neu errichtete Schlosskirche.

Reisetipp

Die Stettiner Peter-und-Paul-Kirche im Norden der Altstadt, von Süden / Foto A. Kieseler
Die Stettiner Peter-und-Paul-Kirche im Norden der Altstadt, von Süden / Foto A. Kieseler

Ausflug:

Die an der Oder gelegene Hauptstadt der Woiwodschaft Westpommern lädt mit zahlreichen historischen Sehenswürdigkeiten zu einem ausführlichen Stadtrundgang ein. Zu den besonders eindrucksvollen Bauwerken des Mittelalters gehören das Rathaus am Alten Markt (Ratusz staromiejski, ul. Księcia Mściwoja II 8), die St. Peter- und Paulkirche im Norden der Altstadt (Kościół św. Piotra i Pawła, pl. św. Piotra i Pawła 4), die Kirche des ehemaligen Franziskanerklosters unweit des Hauptbahnhofs (Kościół św. Jana Ewangelisty, ul. Świętego Ducha 9) sowie die zentral in der Altstadt gelegene Jacobikirche (Bazylika archikatedralna św. Jakuba, ul. Świętego Jakuba Apostoła 1), von deren Turm sich ein weiter Blick über die Stadt bietet. 

Besonders empfehlenswert ist des Weiteren der Besuch der ehemaligen Residenz der pommerschen Herzöge – des Stettiner Schlosses (Zamek Książąt Pomorskich, ul. Korsarzy 34) mit zahlreichen Ausstellungen zur Schloss-, Stadt- und pommerschen Landesgeschichte. Wenige Schritte südlich des Schlosses liegt das einzige erhaltene frühneuzeitliche Bürgerhaus der Stadt – das Loitzenhaus von der Mitte des 16. Jhs. (Kamienica Loitzów, ul. Kurkowa 1). Am Nord- und am Westrand der Altstadt befinden sich das Königs- und des Berliner Tor (Brama Królewska, pl. Hołdu Pruskiego 8; Brama Portowa, Pl. Brama Portowa 2) aus dem 18. Jh. Außerdem lohnt sich ein Abstecher zur nördlich der Altstadt und dort direkt über der Oder gelegenen Hakenterrasse (Wały Chrobrego), eines zum Beginn des 19. Jhs. errichteten Bauensembles, zu dem auch das Gebäude des ehemaligen Stadtmuseums gehört, in dem sich heute das Nationalmuseum Stettin (Muzeum Narodowe w Szczecinie) befindet.

Die bei Ausgrabungen im Innenhof des Stadtschlosses entdeckten Reste der Ottokirche in Gestalt des Chor- und Altarfundaments / nach Cnotliwy 1992, Abb. X; Bearbeitung A. Kieseler
Die bei Ausgrabungen im Innenhof des Stadtschlosses entdeckten Reste der Ottokirche in Gestalt des Chor- und Altarfundaments / nach Cnotliwy 1992, Abb. X; Bearbeitung A. Kieseler

Mit dem Einzug der Reformation in Pommern setzte der unabwendbare Niedergang des Stifts ein, das bis zuletzt ein Ort des alten Glaubens blieb. Im Jahre 1541 waren im Stift nur noch zwei Kanoniker anwesend. Der Plan, die beiden städtischen Stifte zusammenzulegen, ließ sich nicht verwirklichen. Das Stift wurde aufgelöst, die Stiftsschule ging im Herzoglichen Pädagogium auf. Die Kirche (siehe unten) wurde im Zuge des Umbaus des Schlosses 1575 vollständig abgebrochen.

Freilegung der Stiftskirche

In den Jahren 1947/48, 1973/74 und 1977 ließen sich bei Ausgrabungen im Stettiner Stadtschloss u. a. die Reste der von der Mitte des 14. Jahrhunderts bis in das 16. Jahrhundert bestehenden Herzogsresidenz freilegen. Zu deren zentralen Bauten gehörte die 1347 fertiggestellte Ottenkirche – ein 37 m langer und 15 m breiter einschiffiger Bau mit Fünfzwölftelabschluss, der von massiven Strebepfeilern gestützt wurde. 

Die 1 m breiten Backsteinwände der Kirche wurden wahrscheinlich über einem 1 m hohen Feldsteinsockel errichtet. Glasierte Back- und verschiedene Formsteine zeugen von der Verzierung der Portale und Fenster sowie der Einwölbung des Gebäudes. Im Chor fanden sich Reste eines aus Backsteinen gemauerten Altars bzw. dessen Fundaments. Wahrscheinlich wurde die Kirche in einer zweiten Bauphase vom Ende des 14. oder Beginn des 15. Jahrhunderts zu einer dreischiffigen Kirche mit Umgangschor ausgebaut, in dem sich zahlreiche Bestattungen fanden. Die zur Zeit der Reformation geleerte Herzogsgruft ließ sich allerdings nicht auffinden.

Überblick.

Identifikation

Geistliche Zugehörigkeit
Säkularkanoniker
Patrozinium
St. Otto

Gründung/Aufhebung

Gründungsdatum
1346
Gründung durch
Herzog Barnim III. (vor 1300–1368)
Aufhebungsdatum
1541

Ortslage

Ortslage
unter dem Westflügel des heutigen Stettiner Stadtschlosses zu verorten
Kirchlicher Verwaltungsbezirk
Bistum Cammin
Territoriale Zugehörigkeit
Herzogtum Pommern bzw. Pommern-Stettin

Spätere Nutzung

1575 Abbruch der Stiftskirche für den Schlossneubau

Weitere Informationen

Quellen und Literatur

[1] Siegfried Buboltz: Herzog Barnim III. von Pommern und seine Kirchenstiftungen. Ein Beitrag zur Stettiner Kirchenbauforschung (Würzburg 1934).

[2] Eugeniusz Cnotliwy: Początki i rozwój średniowiecznej siedziby książęcej w Szczecinie. In: Zamek książecy w Szczecinie (Szczecin 1992), S. 9–32.

[3] Eugeniusz Cnotliwy: Archeologia zamku książąt pomorskich w Szczecinie (Szczecin 2014).

[4] Hellmuth Heyden: Die Kirchen Stettins und ihre Geschichte (Stettin 1936), bes. S. 33, 34, 48.

[5] Hermann Hoogeweg: Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern 2 (Stettin 1925), S. 567–595.

[6] Anna B. Kowalska: Zapomniana rzeczywistość. Zarys dziejów klasztorów w średniowiecznym Szczecinie. Materiały Zachodniopomorskie N. S. 12, 2016, S. 611–632, bes. S. 620.

[7] Hugo Lemcke: Die Bau- und Kunstdenkmäler des Regierungsbezirks Stettin. Heft 14, Abteilung 1: Das Königliche Schloss in Stettin (Stettin 1909).

[8] Zbigniew Radacki: Średniowieczne zamki Pomorza Zachodniego (Szczecin 1976), bes. S. 64–81.

[9] Ryszard Rogosz: Zamkowy kościół świętego Ottona w świetle badań archeologicznych. In: Zamek książecy w Szczecinie (Szczecin 1992), S. 33–79.

[10] Martin Wehrmann: Die Vereinigung der beiden Domstifte von St. Marien und Otten in Stettin. Monatsblätter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Altertumskunde 6, 1892, S. 117–121.

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Veröffentlicht am 18. Januar 2024
Zuletzt bearbeitet am 18. Januar 2024
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