Magische Bestattungsrituale auf christlichen Friedhöfen

Den Toten noch mehr tot machen

Im Verlauf des Mittelalters gingen die an der südlichen Ostseeküste ansässigen, zunächst noch heidnischen slawischen Stämme unter kulturellen Einflüssen aus dem christlichen Westen von ihrer traditionellen Brandbestattung allmählich zur Beisetzung in flachen Körpergräbern über. In Pommern traten die ersten Körperbestattungen in der Zeit um 1000 auf, östlich der Oder noch häufig unter Hügelaufschüttungen, im 11. und 12. Jahrhundert dann zusammen mit Brandbestattungen auf birituellen Bestattungsplätzen, aber auch auf „reinen“ Körpergräberfeldern. Regelrechte Reihengräberfelder mit Ost-West-ausgerichteten Bestattungen wurden in Pommern aber erst ab der Mitte des 12. Jahrhunderts zur Regel. Der Abschluss dieses Wandels im regionalen Bestattungsbrauchtum wurde dann im Zusammenhang mit dem ostsiedlungszeitlichen Landesausbau und der Errichtung eines flächendeckenden Pfarrkirchennetzes etwa ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts erreicht. Von nun an wurde nahezu ausschließlich nach christlichem Ritus auf Kirchenfriedhöfen bestattet: Die Verstorbenen wurden körperlich unversehrt, in Rückenlage mit seitlich ausgestreckten, später auf dem Oberkörper verschränkten Armen und beigabenlos in flachen, Ost-West-ausgerichteten Gräbern mit Blick nach Osten beerdigt.

Von: Andreas Kieseler | 2. Mai 2022
Grablege im ehemaligen Prämonstratenserstift Grobe
Grablege im ehemaligen Prämonstratenserstift Grobe / Felix Biermann

„Sonderbestattungen“

Auf den Nekropolen, die ab dem 11. Jahrhundert teils christlich beeinflusste, ab dem 13. Jahrhundert dann ausschließlich christliche Körperbestattungen umfassen, finden sich auch immer wieder solche, die von den üblichen „Bestattungsvorschriften“ abweichen. So wurde manchem Toten eine Münze in den Mund gelegt, die als Bezahlung zur Überfahrt in das Jenseits im Sinne des aus der Antike bekannten Charonpfennigs zu deuten ist. Andere Gräber fallen dadurch auf, dass sich die Skelette in atypischer Bauch- oder seitlicher Hockerlage befinden, den Skeletten Gliedmaßen fehlen oder diese mit Steinen beschwert sind. Nicht in jedem Fall handelt es sich bei diesen Befunden um vom christlichen Brauchtum abweichende „Sonderbestattungen“. Fehlende oder verlagerte Gliedmaßen lassen sich auch mit zu Lebzeiten durchgeführten Amputationen, Abgrabungen durch später eingebrachte Gräber, Verwesungsprozesse oder Tierstörungen erklären. Die Hocker- oder Bauchlage z. B. kann auch dadurch entstanden sein, dass man Totgeglaubte versehentlich bei lebendigem Leibe bestattete und diese dann in ihren Särgen nicht „vorschriftsmäßig“ in Rückenlage zu Tode kamen. In vielen Fällen sind Bestattungen, die im archäologischen Befund von der „Norm“ abweichen, aber mit Aberglauben und magischen Ritualen in Verbindung zu bringen – vor allem mit den besonders aus neuzeitlichen Schriftquellen überlieferten „Anti-Vampirismus-Maßnahmen“. Diese wurden durchgeführt, um den „Toten noch mehr tot zu machen“ (Robert Beltz, 1926), also um einen bösen oder vermeintlich Unheil bringenden Menschen an der Rückkehr aus dem Jenseits zu hindern.

„Vernagelt“ und „versteint“

Rekonstruktionszeichnung eines archäologisch erforschten „Anti-Vampirismus“-Grabs auf dem mittelalterlichen Begräbnisplatz von Zehden/Cedynia a. d. Oder
Rekonstruktion eines archäologisch erforschten „Anti-Vampirismus“-Grabs auf dem mittelalterlichen Begräbnisplatz von Zehden / Mirosław Kuźma

Neben dem bereits erwähnten Abtrennen von Körperteilen, vor allem des Hauptes, gehörten zu den häufig angewandten Methoden gegen Wiedergänger das „Versteinen“ und „Vernageln“ der Leichname. So platzierte man schwere Steine auf Kopf oder einzelnen Gliedmaßen oder stapelte vor allem im Bereich des Oberkörpers ganze Steinlagen auf, um die Rückkehr des Verstorbenen zu verhindern. Für ähnlich effektiv hielt man offenbar das Festnageln von Füßen und Händen, des Hüft- oder Schulterbereichs am Sargboden, was in mehreren Gräbern des Mittelalters und der Neuzeit beobachtet werden konnte. Eine weitere Maßnahme war das Ablegen einer Sichel auf dem Oberkörper oder direkt über dem Hals, sodass sich der Tote, stünde er auf, seinen Bauch oder seine Kehle aufschneiden würde. Zu den eher symbolischen Maßnahmen gehörte die Beigabe eines Vorhängeschlosses, das den Ausschluss von der Welt der Lebenden markieren sollte. Als Bannritus ist auch die Bestattung auf dem Bauch zu deuten: Mit dieser wurde der Leiche das Aufstehen erschwert und mit nach unten gewandtem Gesicht konnte die Seele des Verstorbenen nicht nach oben entweichen und im Diesseits keinen Schaden anrichten. Nicht zuletzt sind auch besonders tiefe Grabgruben zum Schutz vor den Nachzehren ausgehoben worden. Oftmals lassen sich auch Kombinationen verschiedener Maßnahmen beobachten.

Magische Praktiken auf Klosterfriedhöfen

Zisterzienserkloster auf Hiddensee, Schulter-„Vernagelung“ eines Mannes in einem Doppelgrab auf dem Klosterfriedhof / Felix Biermann

Die verschiedenen „Sonderbestattungen“ lassen sich in christlicher Zeit vor allem auf separat gelegenen Friedhöfen nachweisen, die vorwiegend der Bestattung von Fremden, Kranken, sozial Außenstehenden und sonst in irgendeiner Form „auffälligen“ Personen dienten. Sie sind aber auch von regulären christlichen Bestattungsplätzen in Dörfern und Städten und erstaunlicherweise auch von Klöstern bekannt. Auf dem Friedhof des Zisterzienserklosters auf Hiddensee fand sich das Grab eines etwa 50- bis 60-jährigen Mannes, dessen rechte Schulter mit einem langen Nagel durchschlagen war, was wahrscheinlich der Fixierung im Sarg diente.

Eine weitere Wiedergängerbestattung könnte aus dem Franziskanerkloster in Stargard vorliegen. Unter den zahlreichen regulären Grablegen fand sich auch ein Grab aus dem 14./15. Jahrhundert, in dem man eine erwachsene Person auf dem Bauch bestattet hatte; die Interpretation der Bauchlage als eine Anti-Vampirismus-Maßnahme wird in diesem Fall dadurch gestützt, dass sich in unmittelbarer Nähe des teilgestörten Grabs das Fragment einer Sichelklinge fand. Auch aus Klöstern außerhalb Pommerns gibt es derartige Befunde, so z. B. ein Skelett mit durchnageltem Fuß auf dem Friedhof des Klarissenklosters in Ribnitz oder Sicheln in Gräbern des Klosterfriedhofs der Strausberger Dominikaner in Brandenburg.

Wie es im direkten Umfeld der streng christlichen und gegen heidnische und abergläubische Praktiken vorgehenden Ordensgemeinschaften zu mit magischen Riten verbundenen Bestattungen kommen konnte, ist kaum sicher zu sagen. Denkbar ist, dass die Nonnen und Mönche nicht bei jeder Bestattung alles strikt kontrollierten, sozusagen nicht in jeden Sarg und unter jedes Leichentuch schauten. Interessant ist jedenfalls, dass sich der weit verbreitete und langlebige Volksglauben an das Wiedergängertum und die damit verbundene Anwendung von magischen Riten und Praktiken im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit selbst an den Zentren des christlichen Glaubens zeigten.

Quellen und Literaturhinweise

[1] Beltz, Robert: Bannriten in Wendengräbern, in: Mecklenburg. Zeitschrift des Heimatbundes Mecklenburg 21 (1926), S. 108.

[2] Biermann, Felix: Archäologische Zeugnisse magischer Vorstellungen im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bestattungswesen Vorpommerns und benachbarter Gebiete, in: Czary i czarownictwo na Pomorzu. Materiały z konferencji naukowej, która odbyła się w dniach 17–18 maja 2007 r. w Marianowie, red. Arleta Majewska, Stargard 2008, S. 39-51.

[3] Biermann, Felix: Sonderbestattungen, besondere Beigaben, Anti-Vampirismus-Maßnahmen. Ein Problemaufriss aus archäologischer Perspektive, in: Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift 50 (2009), S. 3-12.

[4] Gardeła, Leszek: Vampire Burials in Medieval Poland. An Overview of Past Controversies and Recent Reevaluations, in: Lund Archaeological Review 21 (2015), S. 107-126.

[5] Gardeła, Leszek: Face Down: The Phenomenon of Prone Burial in Early Medieval Poland, in: Rytuały w przeszłości Gardeła, Leszek, red. Agnieszka Půlpánová-Reszczyńska, Rzeszów 2015 (Analecta Archaeologica Ressoviensia 10), S. 99-135.

[6] Majewski, Marcin (red.): Archeologia Stargardu II/1. Badania na obszarze dawnego kościoła augustiańskiego, Stargard 2016.

[7] Polcyn, Marek/Gajda, Elżbieta: Buried with sickles: early modern interments from Drawsko, Poland, in: Antiquity 89/348 (2015), S. 1373-1387.

[8] Porzeziński, Antoni: Wczesnośredniowieczne pochówki antywampiryczne na nekropolach w Cedyni (stan. 2 i 2a), in: Czary i czarownictwo na Pomorzu. Materiały z konferencji naukowej, która odbyła się w dniach 17–18 maja 2007 r. w Marianowie, red. Arleta Majewska, Stargard 2008, S. 11-38.

[9] Porzeziński, Antoni: Charakterystyka form obrządku pogrzebowego na cmentarzysku w Cedyni (stanowisko 2 drugi etap prac badawczych w latach 1976–1985), in: Materiały Zachodniopomorskie N. S. 12 (2016), S. 381-412.

[10] Prehn, Burkhard: Totenkrone und Eselsbegräbnis – Bestattungen und Bestattungsplätze in Spätmittelalter und früher Neuzeit, in:, Archäologie unter dem Straßenpflaster. 15 Jahre Stadtkernarchäologie in Mecklenburg-Vorpommern, hg. v. Hauke Jöns u. Friedrich Lüth, Schwerin 2005 (Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns Bd. 39), S. 459-464.

[11] Rębkowski, Marian: Die Christianisierung Pommerns. Eine archäologische Studie, Bonn 2011 (Universitätsforschungen zur prähistorischen Archäologie Bd. 197).

[12] Stanaszek, Łukasz Maurycy: Wampiry w średniowiecznej Polsce, Warszawa 2016.

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