Ort der Inspiration

Lyonel Feininger und seine Liebe zur pommerschen Ostseeküste

Lyonel Feininger wurde am 17. Juli 1871 in New York als Sohn deutsch-amerikanischer Eltern geboren. Auf einer Konzertreise seiner Musikereltern kam er 1887 nach Deutschland. Hier entschied er sich entgegen dem Wunsch seines Vaters, der ebenfalls eine musikalische Berufslaufbahn für ihn vorsah, für ein Studium der Bildenden Künste zuerst an der Kunstgewerbeschule in Hamburg und dann an der Königlichen Akademie der Künste in Berlin. Ein siebenmonatiger Aufenthalt an der Pariser Académie Colarossi ergänzte seine Ausbildung. 1909 wurde er Mitglied der Berliner Secession.

Von: Katja Hillebrand | 10. November 2023
Lyonel Feininger, Ostseeschoner (Detail), 1924, Öl auf Leinwand, 40,5 x 23,8 cm, Privatbesitz
Lyonel Feininger, Ostseeschoner (Detail), 1924, Öl auf Leinwand, 40,5 x 23,8 cm, Privatbesitz

Tätig in Berlin und in Paris sowie immer wieder in den Vereinigten Staaten als Gastdozent, stellte er ab 1911 zusammen mit Künstlern des „Blauen Reiters“ und der Künstlergruppe „Brücke“ aus. Ab 1919 war er als „Meister der Formenlehre“ Leiter der bedeutenden Grafikwerkstatt am Staatlichen Bauhaus in Weimar und nach dessen Umzug in Dessau. Auf Initiative der deutsch-amerikanischen Malerin Emilie Esther Galka Scheyer gründete er mit ihr und den Bauhausmeistern Wassily Kandinsky und Paul Klee sowie dem Maler Alexej von Jawlensky 1924 die Gruppe „Die blaue Vier“. Im Jahr darauf begründete eine von Scheyer organisierte vielbeachtete Ausstellungstour durch die USA mit Werken der Gruppe den internationalen Ruhm der Künstler.

Sommermonate an der Ostsee

In dieser Zeit verbrachte Feininger zusammen mit seiner Familie die Sommermonate immer wieder an der Ostsee, die er seit seinem ersten Aufenthalt auf Rügen 1892 lieben gelernt hat. Bereits dieser erste Besuch inspirierte ihn in seiner Motivwahl nachhaltig. Maritime Motive von Segelschiffen auf See spiegeln seine Vorliebe für die Landschaft wieder, der er Zeit seines Lebens tief verbunden blieb. Ab den 1920er Jahren hielt er sich mit seiner Familie besonders gern auf Usedom und im Ostseebad Kolberger Deep / Dźwirzyno auf.

Lyonel Feininger, West Deep, 1934, Aquarell und Tinte auf Papier, 23,7 x 42 cm, K. E. Osthaus Museum, Hagen
Lyonel Feininger, West Deep, 1934, Aquarell und Tinte auf Papier, 23,7 x 42 cm, K. E. Osthaus Museum, Hagen

Auf ausgedehnten Spaziergängen an der Ostsee fasste er seine Impressionen in zahlreichen Skizzen zusammen. Sie waren die Grundlage für seine vielen Aquarellbilder und Ölgemälde, die das Sujet des Meeresbildes in den unterschiedlichsten Tages- und Jahreszeiten variierten. Am 8. Juni 1930 schrieb er: „Gestern kamen viele Yachten vorüber, ganz klassige [SIC!] Fahrzeuge, mit Nummern an den Segeln. Es war so interessant, und ich konnte viele Notizen machen, die mir nützlich sein werden.“

Baltic, a Recollection (in Erinnerung an die Ostsee), 1947, Öl auf Leinwand, 50,8 x 88,6 cm, Toledo Museum of Art, Ohio
Baltic, a Recollection (in Erinnerung an die Ostsee), 1947, Öl auf Leinwand, 50,8 x 88,6 cm, Toledo Museum of Art, Ohio

Neben den Meeresimpressionen fertigte er auf seinen Ausflügen ins Hinterland auch viele Bleistiftskizzen zu Ortschaften und Bauwerken entlang der pommerschen Küste an. Die Lage der Ortschaft Cammin / Kamień Pomorski auf einer Anhöhe über der Camminer Bucht / Zalew Kamieński inspirierte ihn zu kleinen zeichnerischen Notizen.

Lyonel Feininger, Dom in Cammin, 1925, Bleistift auf Papier, 22 x 14 cm, Privatbesitz
Lyonel Feininger, Dom in Cammin, 1925, Bleistift auf Papier, 22 x 14 cm, Privatbesitz

Auch der Dom zu Kolberg / Kołobrzeg wurde von ihm in einer schnellen, alles Wichtige beachtenden Zeichnung festgehalten. Diese Momentaufnahmen dienten ihm schließlich immer wieder als Vorlage für spätere Gemäldeprojekte.

Der Abschied

Ab Mai 1935 begann die nationalsozialistische Regierung mit ersten kriegsstrategischen Bauvorhaben an der Ostseeküste. In Deep wurden eine Luftabwehrstation, Garnisonsgebäude und breite Wegführungen für Militärfahrzeuge angelegt sowie ein Flughafen geplant. Feininger versuchte trotz dieser für ihn so unsäglichen und tiefgreifenden Veränderungen in den Sommermonaten dieses Jahres seine Orte der Inspiration aufzusuchen. Nochmals waren es die Ostsee selbst aber auch die vielen kleinen Ortschaften mit ihren Bauten und Straßenzügen, die er in Skizzen festhielt, vielleicht auch im Wissen darum, dass es das letzte Mal war. Im September 1935 schrieb er: „Laurence und ich gehen wie in einem von unsichtbaren Wänden eingekreisten Revier – wir wollen bloß vermeiden, alte Erinnerungen zu überschatten durch Wissen um all die Verunstaltungen.“ Und nur wenige Tage später schrieb er: „Laurence und ich halten die Totenwache am geliebten, nun gestorbenen Deep…“.

Lyonel Feininger, Kolberger Dom, 1925, Beistift auf Papier, 22 x 14 cm, Privatbesitz
Lyonel Feininger, Kolberger Dom, 1925, Beistift auf Papier, 22 x 14 cm, Privatbesitz

So fern und doch so nah

Nachdem die Nationalsozialisten seine Werke als „entartet“ diffamiert hatten, verließ er mit seiner Familie im Juni 1937 Deutschland und kehrte zurück nach New York. Er schuf sich auch hier wieder ein kreatives Umfeld, aber es fiel ihm nicht leicht, wieder die gewohnte Schaffenskraft in der neuen Umgebung zu erlangen. Noch im Jahr 1953 schrieb er an seinen Sohn T. Lux: „Was ich wirklich misse, ist nach der Natur zeichnen und ‚Notizen‘ zu machen, wie an der Ostsee, in Deep,…“. Und so griff er das Thema der Ostsee und der Landschaft Pommerns auch in seinem Spätwerk immer wieder auf. Sie blieben für ihn bis zum Schluss Sehnsuchtsorte, denen er, ganz aus der Erinnerung schöpfend, Gemälde in zarten, verwischten Farbflächen widmete.

Lyonel Feininger, Cathedral Cammin, 1942, Öl auf Leinwand
Lyonel Feininger, Cathedral Cammin, 1942, Öl auf Leinwand

Das Pommersche Landesmuseum besitzt 62 Werke des Künstlers, die in einer Sonderausstellung Lyonel Feininger. Baltic Memories – Zeichnungen, Aquarelle und Druckgrafiken 2020 gezeigt wurden.

Lyonel Feininger, Marienkirche in Treptow, 1932, Kohle auf Papier, 21 x 27,9 cm, Pommersches Landesmuseum, Greifswald
Lyonel Feininger, Marienkirche in Treptow, 1932, Kohle auf Papier, 21 x 27,9 cm, Pommersches Landesmuseum, Greifswald

Quellen und Literaturhinweise

[1] Ausstellungskatalog: Lyonel Feininger. Erlebnis und Vision, die Reisen an die Ostsee 1892-1935. Katalog zur Ausstellung vom 28. Juni bis 30. August 1992 im Museum Ostdeutsche Galerie Regensburg und vom 15. September bis 27. Oktober 1992 in der Kunsthalle Bremen, hg. v. Werner Timm, Regensburg 1992.

[2] Ausstellungskatalog: Lyonel Feininger. Vom Sujet zum Bild, from suject to art. Katalog zur Ausstellung vom 18. Mai bis 5. Aug. 2007 Staatliches Museum Schwerin u. 19. Aug. bis 28. Okt. 2007 im Pommerschen Landesmuseum Greifswald, hg. v. Kornelia Berswordt-Wallrabe, Schwerin 2007.

[3] Ausstellungskatalog: Lyonel Feininger. Zurück in Amerika 1937-1956, Katalog der Ausstellung vom 16. Mai bis 23. Aug. 2009 Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, hg. v. Wolfgang Büche, München 2009.

[4] Feininger, T[heodore] Lux: Lyonel Feininger in West-Deep, in: Baltische Studien NF 49 (1962/63), S. 101-120.

[5] Hess, Hans: Lyonel Feininger, mit einem Œvre-Katalog von Julia Feininger, Stuttgart 1959, unv. Neuauflage Stuttgart 1991.

[6] Luckhardt, Ulrich: Lyonel Feininger, München 1998.

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