Das Augustiner-Chorherrenstift in Jasenitz / Jasienica

Ein kleines Stift mit einer großen Bibliothek

An das ehemalige Augustiner-Chorherrenstift in Jasenitz / Jasienica erinnern vor Ort nur noch einige malerische Ruinen. Erhalten hingegen blieb eine stattliche Anzahl von Handschriften und Bücher aus der ehemaligen Stiftsbibliothek, die sich heute im Bestand der Universitätsbibliothek in Greifswald befinden.

Als das Augustiner-Chorherrenstift im Zuge der Reformation 1534 aufgehoben wurde, blickten die Chorherren auf eine über 270jährige Stiftsgeschichte zurück. Gegründet wurde die Niederlassung um 1260 in Uckermünde. Eine erste Erwähnung erfolgte in einer Urkunde aus dem Jahr 1260, in der Herzog Barnim I. von Pommern den Augustiner-Chorherren Land schenkte. Sie werden in der Urkunde als „fratribus ordinis sancte Victoris Parisiensis“, als Brüder des Ordens von St. Victor von Paris bezeichnet.

Von: Katja Hillebrand | 10. Oktober 2021
Blick auf die Arkadenöffnungen des Kreuzganges hin zum Hof des Stifts in Jasenitz / Foto K. Hillebrand
Blick auf die Arkadenöffnungen des Kreuzganges hin zum Hof des Stifts in Jasenitz / Foto K. Hillebrand

Die Anfänge in Paris

Die sogenannten Viktorianer lebten als Regularkanoniker nach der strengen Auslegung der Augustinerregel. In ihren consuetudines, ihren Gewohnheiten, betonten sie neben der meditativen und kontemplativen Lebensform innerhalb der Klausur besonders die Unterweisung in die Wissenschaften und folgten damit den Vorgaben des Gelehrten Wilhelm von Champeaux (um 1017–1121). Er hatte sich in die kleine Kapelle St. Victor vor den damaligen Mauern von Paris zurückgezogen und baute diese zu einem der bedeutendsten geistigen Zentren mit einer stetig wachsenden Bibliothek aus. Hier schrieb der Theologe Hugo von St. Victor (um 1097–1141) das didaktische Werk „Didascalicon de studio legendi“, in dem er ausführt, dass zur Erlangung von Wissen sowohl die Lektüre als auch die Meditation unabdingbar seien. Damit formulierte er die Ziele der in St. Victor sich etablierenden Gemeinschaft von Chorherren.

Abbaye Saint-Victor de Paris 1655
Abbaye Saint-Victor de Paris, Mathaeus Merian 1655 /

Von den Toren vor Paris ans Stettiner Haff

Aus dieser Pariser Gemeinschaft kamen die ersten Augustiner-Chorherren, die sich um 1260 auf den Weg nach Uckermünde machten. 1276 zog der kleine, aus sechs Mitgliedern bestehende Konvent nach Gobelenhagen bei Hagen / Tatynia, wenige Kilometer nordöstlich von Jasenitz, um.

Bücher verbinden

Im Jahr 1298 schlossen die Stiftsherren ein Verbrüderungsvertrag mit den Augustiner-Chorherren im holsteinischen Neumünster, mit dem auch ein reger geistiger Austausch einherging. Nach einem erneuten Umzug des Gobelenhagener Konvents nach Neu-Gobelenhagen im Jahr 1309 zogen die Augustiner-Chorherren schließlich wohl 1326, sicher jedoch 1329 auf den Marienberg in Jasenitz. Zeitgleich, im Jahr 1328, verlegten auch die Stiftsherren in Neumünster ihren Sitz in das wenige Kilometer nördlich gelegene Bordesholm. Die Beziehungen zwischen beiden Konventen wurden ausgebaut und es wurde festgelegt, dass der Propst von Bordesholm die Visitation, d. h. die Aufsicht über die Chorherren in Jasenitz übernahm. Er legte die Größe des Konvents fest, bestätigte die Propst- und Priorwahl und entschied über die Aufnahme von Stiftsherren. 1336 trat der ehemalige Prior aus Bordesholm Eckehard (Lebensdaten unbekannt) sein Amt als Propst in Jasenitz an.

Eine gut sortierte Bibliothek

Fragment aus exordium magnum cisterciens
Fragment aus exordium magnum cisterciense / Universiteitsbiblothek Utrecht

In seinen 30 Jahren Amtszeit sicherte er das Stiftsvermögen und verwaltete umsichtig die große Bibliothek, deren Anfänge im geistigen Umfeld von St. Victor bei Paris lagen und die einen guten Ruf über die Grenzen hinaus hatte. Immer wieder suchten die Augustiner-Chorherren aus Bordesholm diese für ihre Studien auf. Eine besondere Rolle spielten die hier zahlreich vorhandenen Schriften der Reformtheologen. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts besann man sich in Bordesholm auf die Reformgedanken der streng ausgerichteten Regularkanoniker des 12. Jahrhunderts und man begann, für die eigene Stiftsbibliothek eine Reihe von Schriften zu kopieren. Hierzu reiste der Bordesholmer Kanoniker Johannes Nese (Lebensdaten unbekannt) 1477 nach Jasenitz. Aus dem reichen Bibliotheksbestand kopierte er die Schriften zum Leben von Bernhard von Clairvaux (um 1090–1153) und das von Konrad von Eberbach (unb.–1221) verfasste „Exordium magnum cisterciense“.

Ein Ort der Inspiration

Doppelseite aus der Marienklage von Johannes Reborch.

Das hier verwahrte vielfältige Spektrum an theologischen Reformtexten förderte in dem kleinen Stift Jasenitz eine geistig anspruchsvolle Studien- und Arbeitsatmosphäre. Bereits im Jahr zuvor, 1476, kam der Bordesholmer Propst Johannes Reborch (um 1433–1513) nach Jasenitz und vollendete dort die Arbeiten an seiner berühmten Marienklage mit ihren 855 Versen. Es war wohl gerade die hier vorzufindende Vielzahl an literarischen Werken, aus denen er bei der Niederschrift seiner aus niederdeutschen Texten und lateinischen Hymnen bestehenden Marienklage schöpfen konnte. Insbesondere die im 13. Jahrhundert vielbeschriebenen Marienverehrungen und -verklärungen, die im Bestand der Jasenitzer Bibliothek versammelt waren, boten vielfältige Inspiration. Hier in Jasenitz konnte er den Reformvorstellungen früherer Zeiten nachgehen und diese mit den eigenen Gedanken in Beziehung setzen. Das Augustiner-Chorherrenstift von Jasenitz war ein kleiner Konvent, der selten mehr als 15 Mitglieder vereinte. Die stetige Pflege und Sorgfalt jedoch, die die Chorherren von Jasenitz ihrer von Anbeginn an bedeutenden Bibliothek entgegenbrachten, machten aus dem kleinen Stift ein weit über die Grenzen Pommerns hinaus bekannten Ort geistigen und geistlichen Lebens.

Quellen und Literaturhinweise

[1] Hoogeweg, Herman: Die Stifter und Klöster der Provinz Pommern, Bd. 2, Stettin 1925, S. 71-108.

[2] Schnabel, Kerstin: Art. Bordesholm, Augustiner-Chorherren, in: Das Klosterbuch für Schleswig-Holstein und Hamburg. Klöster Stifte und Konvente von den Anfängen bis zur Reformation, Bd. 1, hg. v. Oliver Auge u. Katja Hillebrand, Regensburg 2019, S. 188-207.

[3] Scholz, Klaus: Domus Montis beatae Mariae prope fluvium Jasonis (Jasenitz), in: Monasticon Windeshemense, Teil 2: Deutsches Sprachgebiet, hg. v. Wilhelm Kohl, Ernest Persoons u. Anton G. Weiler, Brüssel 1977 (Archives bibliothéques de Belgique, Numéro special; Bd. 16), S. 249-254.

[4] Wenzlaff, Johannes: Zur Buchbinderwerkstatt des Klosters Jasenitz, in: Einbandstudien. Festschrift für Ilse Schunke zum 80. Geburtstag, hg. v. Ursula Altmann, Berlin 1972, S. 140-151.

[5] Wetzel, August: Die Reste der Bordesholmer Bibliothek in Kopenhagen, in: Zeitschrift der Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte 14 (1884), S. 41-156.

[6] Volltext der Bordesholmer Marienklage unter:

https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:gbv:8:2-7480819

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