Was war, was blieb...

Einblicke in die pommersche Reformationszeit

Reformen waren im Mittelalter keine Seltenheit. Auch im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts schienen die später als evangelisch bezeichneten Theologen mit ihren Neuerungen keinen ausufernden Konflikt verursachen zu wollen, der zeitgenössisch auch als Schisma, als Entzweiung der Christenheit, wahrgenommen wurde. Sie wollten in altbekannter Tradition „verkommene Gewohnheiten“ reformieren.

Von: Robert Harlaß | 25. Oktober 2023
Martin Luther, Ölgemälde von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553); Schlossmuseum Weimar
Martin Luther, Ölgemälde von Lucas Cranach dem Älteren (1472–1553); Schlossmuseum Weimar

Die Lösung sollte eine Rückkehr zu den Anfängen sein – und im Anfang war das Wort. So sollte sich das geistliche Leben nicht mehr nach der über die Jahrhunderte gewachsenen theologischen Praxis aus Heiligenkult und Memorialwesen richten, sondern nach dem in den Evangelien überlieferten Leben Jesu. Darin hatten – zumindest in Pommern – die Klöster, Stifte und Kommenden keinen oder nur noch geringen Platz. Die Reformation und die landesherrliche und städtische Übernahme der Klöster waren dabei nicht nur ein Ergebnis der theologischen Diskussion um Recht und Unrecht in der Christenheit, sondern auch politischer Spannungen und wirtschaftlicher Interessen.

Eine Aufgabe des Herzogs?

Herzog Bogislaw X. (1454–1523), einer der bedeutendsten Herzöge aus dem Geschlecht der Greifen, regierte von 1474 bis zu seinem Tod beinahe 50 Jahre. In seiner Amtszeit gelang es ihm, mehr Einfluss auf die pommersche Geistlichkeit zu erlangen. Selbst der Bischof von Cammin gehörte zu seinen Amtsleuten. Auch wenn das erste verwaiste Kloster im Heiligen Römischen Reich in der Reformationszeit ein pommersches Stift war, nämlich jenes in Belbuck / Białoboki, gilt das Herzogtum an der Ostsee nicht als ein besonders früher Fall im Reichsgebiet. Auf die Selbstauflösung des Belbucker Konvents reagierte Bogislaw mit der Umwandlung des ehemaligen Prämonstratenserstifts in ein herzogliches Amt. Theologische Überzeugung dürfte in diesem Fall weniger eine Rolle gespielt haben als das herzogliche Selbstverständnis, Schutz- und Schirmherr der pommerschen Christenheit zu sein. Sicherlich spielte auch die leere Herzogskasse, die sich durch die neu gewonnenen Güter wieder füllen sollten, eine gewisse Rolle.

 
Das Denkmal für Bogislaw X. vor dem Herzogsschloss in Stolp / Słupsk / Foto R. Harlaß
Das Denkmal für Bogislaw X. vor dem Herzogsschloss in Stolp / Słupsk / Foto R. Harlaß
Reformator Christian Ketelhot (1492–1546), der erste evangelische Pfarrer der Marienkirche in Stralsund, zeitgenössisches Gemälde / Foto R. Harlaß
Reformator Christian Ketelhot (1492–1546), der erste evangelische Pfarrer der Marienkirche in Stralsund, zeitgenössisches Gemälde / Foto R. Harlaß

Der Beginn der Reformation in Pommern

Nach Bogislaws Tod übernahmen seine Söhne Barnim IX. (1501–1573) und Georg I. (1493–1531) die Regierungsgeschäfte. Barnim sollte sich als ein Freund der Reformatoren zeigen, Georg eher als Gegner. In den ersten Jahren ihrer Herrschaft griffen die reformatorischen Lehren vor allem in den Städten. 

Die lutherische Lehre verbreitete sich zunächst von Belbuck aus, wo auch die Reformatoren Christian Ketelhot (1492–1546) und Johannes Bugenhagen (1485–1558) wirkten.

Es kam bald zu ersten Unruhen. Insbesondere im Jahr 1525 entluden sich zahlreiche Spannungen. In Stralsund kam es zum sogenannten „Kirchenbrechen“, wobei der aufgebrachte Pöbel in die Kirchen sowie die beiden Bettelordensklöster und das vor der Stadt gelegene Birgittenkloster eindrang und die Ordensbrüder verjagte. Liturgische Bücher und anderes Inventar wurden zerstört und sollen von der Stadtmauer in den Graben geworfen worden sein. Nach 1525 sollte es in Stralsund keine Bettelmönche mehr geben. Einzig die Frauenkonvente der Birgitten und der Schwestern vom gemeinsamen Leben blieben bestehen und wurden später vereint. Sie durften unter Annahme des Evangeliums und der Veränderung ihrer liturgischen Praxis weiterhin ein geistliches Leben führen.

Ähnliche Übergriffe sind auch für Stettin / Szczecin und Stolp / Słupsk überliefert. In Stolp versuchten die Herzöge, die Aufstände aufzulösen und befriedeten vorerst die Stadt. In dieser Zeit begannen die Herzöge auch, einzelne Klöster visitieren zu lassen und deren wertvolle Inventargüter zum Schutz vor Raub in ihre Schlösser zu bringen. Die Güter wurden allerdings niemals zurückgegeben.

Treptow und die Kirchenordnung

Erst nach Georgs Tod 1531 konkretisierten sich die Pläne zur offiziellen Einführung der Reformation in Pommern. Ausschlagegebend war dann der Landtag in Treptow an der Rega / Trzebiatów im Dezember 1534. Auf dieser Versammlung der pommerschen Stände wurde gegen den Widerstand der Ritterschaft von den Herzögen beschlossen, was zuvor vielerorts bereits Praxis war, nämlich die Einführung der lutherischen Lehre und die Einziehung der geistlichen Kleinodien. Dies bedeutete die Übernahme z. B. von wertvollen Monstranzen mit Reliquien, von Kelchen und Patenen. Bugenhagen, ein enger Vertrauter Luthers, wurde mit der Anfertigung einer Kirchenordnung betraut, die 1535 gedruckt wurde. Dessen Orginalmanuskript, die Vorlage des Druckes, hat sich bis heute erhalten und wird in der Universitätsbibliothek Greifswald aufbewahrt. Die Kirchenordnung sollte den flächendeckenden Wandel in Pommern hin zur lutherischen Lehre gestalten.

Die Heilig-Geist-Kapelle in Treptow a. R., Ort des Landtages 1534 / Foto R. Harlaß
Die Heilig-Geist-Kapelle in Treptow a. R., Ort des Landtages 1534 / Foto R. Harlaß

Das wichtigste Mittel zur Durchsetzung der beschlossenen Inhalte waren Visitationen, die 1535 von Bugenhagen, mehreren hochrangigen Amtsleuten und teils auch den Herzögen selbst durchgeführt wurden. In der Folge wurde ein Kloster nach dem anderen aufgelöst. Die Konventsbrüder und -schwestern durften häufig bis zu ihrem Lebensende in den Klöstern verbleiben, mussten allerdings das Evangelium annehmen. Die ehemaligen Klosterwirtschaften wurden aber fortan von herzoglichen Beamten geführt, während die Äbte, Priorinnen und Guardiane entmachtet wurden.

Auflösung, Umwandlung und Widerstand

Wollin auf der Lubinischen Karte von 1618. Heute ist das Kloster (rot markiert) verschwunden / Bearb. R. Harlaß
Wollin auf der Lubinischen Karte von 1618. Heute ist das Kloster (rot markiert) verschwunden / Bearb. R. Harlaß

Widerstände in den aufzulösenden Einrichtungen lassen sich auf Grundlage der wenigen Quellen kaum nachweisen, wobei ausführliche Studien hierzu noch ausstehen. Vereinzelt soll die alte geistliche Praxis noch nach 1535 angewandt worden sein, etwa im Zisterzienserinnenkloster in Wollin / Wolin. Ein herausragendes und gut überliefertes Beispiel ist dagegen der Widerstand des Zisterzienserklosters Neuenkamp. Dessen letzter Abt, Johann Molner, führte gegen die pommerschen Herzöge einen langwierigen Prozess. Letztlich waren die Bemühungen vergebens und die Abtei in Neuenkamp blieb ein herzogliches Amt. Nach dessen Auflösung wurde es für den Bau eines Herzogsschlosses nahezu vollständig abgetragen. Selbst der Name wurde ersetzt, aus Neuenkamp wurde noch im 16. Jahrhundert Franzburg. Ein kleiner Teil der Klosterkirche besteht noch heute; er wurde erst als Schlosskapelle, dann als Pfarrkirche genutzt und zeugt von den Ausmaßen der einst riesigen Anlage.

Die Pfarrkirche in Köslin; einst ein Begegnungsort mit Konfliktpotential zwischen Anhängern der neuen und der alten Lehre / Foto R. Harlaß
Die Pfarrkirche in Köslin; einst ein Begegnungsort mit Konfliktpotential zwischen Anhängern der neuen und der alten Lehre / Foto R. Harlaß

Eine eher legendarische Erzählung berichtet von dem Konflikt zwischen neuer und alter Lehre in Pommern: Ein Altgläubiger soll in Köslin / Koszalin mit einer quakenden Ente unter dem Arm und einem Schnapsglas in der Hand lautstark eine evangelische Predigt gestört haben. Die aufgebrachte Menge habe den Mann daraufhin um sein Leben gebracht und so den Frevel gerächt. Dies sei jedoch nicht ohne Folgen geblieben, denn der Bruder des Getöteten, angeblich ein einflussreicher Camminer Vikar, habe in einem Prozess eine hohe Geldsumme als Entschädigung erhalten. Ob diese Geschichte einen wahren Kern enthält oder nicht, muss an dieser Stelle offenbleiben. Jedenfalls zeigt sie das tatsächliche hohe Konfliktpotential auf, das im 16. Jahrhundert in den Städten, in denen Anhänger beider Parteien lebten und glaubten, vorherrschte.

Was blieb nach der Reformation?

Das Kloster Marienfließ 1615, Lithografie von Ernst Eitner Marienfließ aus Kypke, Heinrich: Bilder aus dem Marienfließ’schen Kloster, Marienfließ 1885
Das Kloster Marienfließ 1615, Lithografie von Ernst Eitner Marienfließ aus Kypke, Heinrich: Bilder aus dem Marienfließ’schen Kloster, Marienfließ 1885

Anders als im Falle der sämtlich aufgelösten Männerklöster wurde für einige Frauenklöster entschieden, dass sie einerseits als Bildungs- und Versorgungseinrichtungen, andererseits als Orte besonderer geistlicher Wirkkraft weiter bestehen sollten. Die Klöster in Verchen, Bergen auf Rügen, Wollin, Marienfließ / Marianowo, Stolp und Kolberg / Kołobrzeg wurden auf den Landtagen immer wieder für eine Umwandlung vorgesehen. Doch die Phase der Transformation zog sich von der Mitte der 1530er Jahre bis in die späten 1560er Jahre hin. 

In Verchen musste dieser Plan aufgegeben werden, da das evangelische Stift in den 1560er Jahren zu großen Teilen niederbrannte. Nach und nach wurde das geistliche Leben in den Frauenklöstern durch die Landesherren, deren Amtsleute und die spätere evangelische Landeskirche neu geordnet. So wurde das pommersche Klosterwesen unter veränderten Vorzeichen, nämlich ohne Gelübde, ohne Reliquienkult und unter Annahme der evangelischen Lehre fortgeführt und blieb dergestalt bis ins 20. Jahrhundert erhalten.

Quellen und Literaturhinweise

[1] Buske, Norbert: Reformation in Pommern: Das angezündete Licht der Gnade, in: Land am Meer. Pommern im Spiegel seiner Geschichte. Roderich Schmidt zum 70. Geburtstag (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 29), hg .v. Buchholz, Werner / Mangelsdorf, Günter, Köln 1995 , S. 361–374.

[2] Ehricht, Christoph: Das Prämonstratenserkloster Belbuck als eine Keimzelle der Reformation im südlichen Ostseeraum, in: Gdański Rocznik Ewangelicki Bd. 11 (2017), S. 149–158.

[3] Harlaß, Robert: Mehr als eine Reform – Die Reformation und das Ende der Klöster, in: Vorpommern und seine Klöster, Auge, Oliver / Harlaß, Robert / Hillebrand, Katja / Kieseler, Andreas, Regensburg 2023, S. 167–178.

[4] Heyden, Hellmuth: Zur Geschichte der Reformation in Pommern insonderheit politische Motive bei ihrer Einführung in den Jahren 1534/35, in: Neue Aufsätze zur Kirchengeschichte Pommerns, hg. v. Ders., Köln/Graz 1965 , S. 1–34.

[5] Hoffmann, Claudia: Stralsund und die Reformation: Auswirkungen auf die Klöster der Stadt, in: Klöster und monastische Kultur in Hansestädten: Beiträge des 4. wissenschaftlichen Kolloquiums Stralsund 12. bis 15. Dezember 2001 (Stralsunder Beiträge zur Archäologie, Geschichte, Kunst und Volkskunde in Vorpommern, 4), hg. v. Kimminus–Schneider, Claudia u.a., S. 103–120.

[6] Plantiko, Otto: Pommersche Reformationsgeschichte, Greifswald 1922.

[7] Schildhauer, Johannes: Reformation und ‚Revolution‘ in den Hansestädten Stralsund, Rostock und Wismar., in: Greifswald–Stralsunder Jahrbuch Bd. 1 (1961 ), S. 54–65.

[8] Szultka, Zygmunt: Inne ujecie procesu reformacji w Słupsku, in: Acta Cassubiana, Bd. 83,2 (2018), S. 7–45.

[9] Völker, Eberhard: Die Reformation in Stettin, Köln u.a. 2003 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern, 38).

[10] Wächter, Joachim: Die Reformation in Pommern, in: Beiträge zur Geschichte Vorpommerns. Die Demminer Kolloquien 1985–1994, hg. v. Haik Porada, Schwerin 1997, S. 179–188.

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