Eldena ist überall

Die Klosterruine im Reisegepäck des Romantikers

Im Jahr 1199 wurde im pommerschen Eldena eine Filiale des dänischen Zisterzienserklosters Esrum gegründet. 1634 geriet die säkularisierte Anlage unter die Oberhoheit der Universität im benachbarten Greifswald. Lange blieb sie nun ein unbeachteter Ort der Geschichte, der kaum zu etwas Anderem einen Nutzen trug als zu einem Steinbruch, aus dem Ziegel günstig für verschiedenste Bauten der näheren Umgebung gewonnen wurden. Das Kloster hatte seinen ideellen und bauhistorischen Wert gänzlich eingebüßt, als noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Abriss auch der Reste diskutiert wurde.

Von: Arne Suttkus | 4. März 2022
Westfassade der Zisterzienserabtei Eldena (Foto: Marek Ober).
Zisterzienserabtei Eldena, Westfassade / M. Ober

In die Sicherheit des Mondscheins

Der Grund dafür, dass die letzten gotischen Spitzbögen noch im 21. Jahrhundert zu besichtigen sind, ist vor allem ein Maler, der 1774 in Greifswald geboren wurde: Caspar David Friedrich.

Caspar David Friedrich: Selbstporträt, 1810.
Selbstporträt von Casper David Friedrich, 1810 /

Das Licht der Aufklärung strahlte Ende des 18. Jahrhunderts über alles Mittelalterliche hinweg. Man suchte in den klassisch-antiken Formen nach baulichen Idealkörpern. Es blieb kein Raum für die aufragende, spitze Gotik. Sie war nicht Mode. Caspar David Friedrich bewegte sich um die Jahrhundertwende in Dresden in Kreisen, die einen neuen Weg suchten. Ahnungen vom Wesen der Natur, des Menschen und Gottes bestimmten ihre neue, moderne Poesie. Sie begrüßten den Mondschein als mystischen Gegenentwurf zur Sonnenhinwendung ihrer Zeitgenossen. Und in ihre Welt gehörte auch ein Sehnen nach den Meistern des Mittelalters. Die organisch himmelwärts strebenden Kathedralen, die Klöster und gar die Hünengräber umgab ein verborgenes Geheimnis der Vergänglichkeit im irdischen Sein. Nicht zuletzt hing aber mit den alten Kulturstätten des eigenen Landes auch ein Stück Geschichte zusammen, das im Zuge napoleonischer Fremdbestimmung und im gleichsam aufkeimenden Nationalgeist als dezidiert deutsch verstanden wurde.

Eldena im Gepäck des Greifswalder Malers

Caspar David Friedrich war einer dieser jungen Romantiker, einer der zunächst wenigen bildenden Künstler, die ihr Kunstfach der bislang vorherrschenden Literatur beisteuerten. Friedrichs Hauptthema waren Landschaften, und diese waren Programm statt Staffage. Bekannt wurden von ihm solche Werke wie Der Wanderer über dem Nebelmeer (um 1818) oder Das Eismeer (1823/1824). Neben seiner neuen Heimat Sachsen verarbeitete der Maler etliche Motive der pommerschen Landschaft, nicht zuletzt die Kreidefelsen der Insel Rügen. Aber auch ein längst verfallenes Bauwerk aus seiner alten Nachbarschaft hatte er sich in seinem Reisegepäck in gewisser Weise mitgenommen. In mehreren Werken, in Federzeichnungen, Sepia- und Ölbildern sind Teile des verfallenen Gemäuers Ausdruck eines schauerlichen oder wehmütigen Blicks auf die Vergänglichkeit. Eingefasst ist die Ruine in nächtliche Winterlandschaften, beschienen von einem tanzenden Lagerfeuer, in Sichtweite des Meeres thronend über einem Gottesacker oder gar in das ferne Riesengebirge.

Caspar David Friedrich: Ruine Eldena im Riesengebirge, um 1830–1834.
Ruine Eldena im Riesengebirge von Casper David Friedrich, um 1830–1834 /

Es fällt schnell auf, dass Eldena in Friedrichs Bildern nicht mehr geographisch festgelegt ist, sondern bald zu wandern begann, wann immer sich das traurige Mauergerippe anbot, für eine Stimmung gerade geeignet zu sein.

Abtei im Eichwald

Der Romantiker Caspar David Friedrich bildete nicht bloß eine Landschaft, die er an einem Ort vorfand, ab, wie sie war. Er empfand sie. Und da für den Romantiker alles in einer für den lebenden Menschen nicht fasslichen Einheit begründet lag, war die Motivwanderung nur natürlich. Eine besonders unwirkliche Landschaft um ein gespenstisches Eldena schuf Friedrich mit Abtei im Eichwald (1809–1810), das 1810 zusammen mit seinem Gegenstück Der Mönch am Meer (1808–1810) in der Berliner Akademie ausgestellt wurde.

Caspar David Friedrich: Abtei im Eichwald, 1809–1810.
Abtei im Eichwald von Caspar David Friedrich, 1809–1810 /

Die Kirchenwestwand der Klosterruine ragt mittig im Bild aus einer wiederum kargen, nächtlichen Winterszenerie in einen vom Neumond fahl erleuchteten Himmel, strebt hinaus aus dem dunklen Erdenreich, das von einem seltsamen Nebel umschlungen ist. Kahle Eichen rahmen das Gemäuer ein. Doch auch hier ist Eldena nicht gleich dem Eldena, das Friedrich und seine Zeitgenossen tatsächlich erblicken konnten. Der Funktion nach wurde die äußere Gestalt von Etwaigkeiten bereinigt. So wurde das hohe gotische Fenster von Backsteinen befreit, um einen Idealzustand zu erreichen. Belebt wird das tote Bauwerk ausgerechnet durch einen Leichenzug von Mönchen, der durch ein Portal in der verfremdeten Eldenaer Wand schreitet. Das Grab ist im Vordergrund des Bildes bereits ausgehoben.

Vom Gemälde zum Gedicht zurück

Was gerade beschrieben stand, ergriff bei der Berliner Ausstellung auch den Dichter Theodor Körner so sehr, dass er Friedrichs Totenlandschaft, wie er es nannte, in ein zweiteiliges Sonett fasste. Das erste Gedicht fängt ganz die bedrückende Kargheit, den allgegenwärtigen Tod ein.

„Die Erde schweigt mit tiefem, tiefem Trauern,
Vom leisen Geisterhauch der Nacht umflüstert.
Horch, wie der Sturm in alten Eichen knistert
Und heulend braust durch die verfallnen Mauern.“
(KÖRNER 1912, S. 174)

So die erste Strophe. Es folgt eine tief empfindsame Schilderung der Bilddetails. Das zweite Gedicht hebt jedoch gleich zu ausgesprochener Hoffnung an, durchbricht mit Licht und Melodien die vordergründige Trostlosigkeit. Bemerkenswert ist neben diesem Schwenk zur Aussicht auf ein Leben nach dem Tod aber besonders der Abschluss des Sonetts.

„So mögen wir das Werk des Künstlers schauen!
Ihn führte herrlich zu dem schönsten Ziele
Der holden Musen süße, heil’ge Gunst.
Hier darf ich kühn dem eignen Herzen trauen;
Nicht kalt bewundern soll ich, nein, ich fühle,
Und im Gefühl vollendet sich die Kunst.“
(KÖRNER 1912, S. 175)

Hier wird den Musen gehuldigt, und es wird völlig klar, dass nicht eine tatsächliche Landschaft zu Trauer und Erhebung des Betrachters führte, sondern ein Gemälde, das aus sich selbst heraus eine Wirkung entfaltet. Es ist zudem ein entscheidender Faktor des romantischen Kunstverständnisses in diesen Versen eingefangen. Kunst vermittelt zwischen den Geheimnissen der Welt, die Friedrich nach eigener Aussage dem Bild zum Thema gab, und dem Menschen. Die Aussage des Bildes wird dabei nicht dem klaren Wissen preisgegeben, sondern bleibt einer Ahnung, einem Gefühl offen zur Deutung.

Vom Mittelalter über die Romantik in die Zukunft

Das Gemälde des Romantikers Caspar David Friedrich, aufgeladen mit allem Gefühl, aller Veränderung durch des Künstlers Hand, liegt unserem Bild von Eldena nicht nur auf dieser ideell vermittelnden Ebene zugrunde. Die beiden Bilder Der Mönch am Meer und Abtei im Eichwald gerieten in den Besitz des preußischen Königshauses. Der damalige Kronprinz, später König Friedrich Wilhelm IV., hatte wohl schon am Erwerb seinen Anteil und nicht zuletzt auch an der Sicherung der Ruine für die Zukunft. Nachdem schon für den Abriss geworben worden war, griff der neue Herr über Pommern ein, und so wurde von 1827 bis 1830 die Anlage von Eldena denkmalpflegerisch wiederhergerichtet sowie in einen englischen Landschaftsgarten eingebettet. Den Unterschied zu dem heute schieren Baurest, der nicht zuletzt durch das Gemälde Abtei im Eichwald in seiner Gestaltung beeinflusst wurde, zeigt eindrucksvoll ein Ölgemälde der Ruine von etwa 1825, stark bewachsen und mit einem Wärterhäuschen an die Mauern geschmiegt.

Caspar David Friedrich: Ölgemälde der Ruine von Eldena, um 1825.
Ruine von Eldena von Casper David Friedrich, um 1825 /

Die Klosterruine ist heute mit hoher Wahrscheinlichkeit erhalten, weil Caspar David Friedrich sie in der Zeit bürgerlicher Freiheitsbestrebungen und erster nationaler Erhebung malte, sie dann aber von einem der einflussreichsten deutschen Fürsten mit Blick auf das Abbild für ein patriarchales Idyll der politischen Restauration vereinnahmte. Neben der genuin mittelalterlichen Abkunft des Gemäuers trägt das alte Zisterzienserkloster nun also auch diese Erinnerungsebenen in unserer Wahrnehmung in sich.

Quellen und Literaturhinweise

[1] GEHLER, Jörg: Ein Blick in die Natur – Aussicht in die Ewigkeit. C.D. Friedrichs „Friedhofseingang“ und die Malerei der Romantik in Deutschland, Kiel 1999.

[2] GRAVE, Johannes: Caspar David Friedrich. Glaubensbild und Bildkritik, Zürich 2011.

[3] KÖRNER, Theodor: Gedichte. Rosamunde. Zriny, Leipzig 1912 (Tempel-Klassiker. Theodor Körners Werke in zwei Bänden, 1).

[4] MÖBIUS, Friedrich: Caspar David Friedrichs Gemälde „Abtei im Eichwald“ und die frühe Wirkungsgeschichte der Ruine Eldena bei Greifswald. Zu aktuellen Aspekten des Denkmalbegriffs und der Denkmalpflege. Mit einem Anhang: Zur Rekonstruktion der Anfänge der Denkmalpflege in Eldena, Berlin 1980 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse, 68,2).

[5] NOLL, Thomas: Die Landschaftsmalerei von Caspar David Friedrich. Physikotheologie, Wirkungsästhetik und Emblematik. Voraussetzungen und Deutung, München/Berlin 2006.

[6] SCHOLL, Christian: Romantische Malerei als neue Sinnbildkunst. Studien zur Bedeutungsgebung bei Philipp Otto Runge, Caspar David Friedrich und den Nazarenern, München/Berlin 2007.

[7] SOMMERHAGE, Claus: Caspar David Friedrich. Zum Portrait des Malers als Romantiker, Paderborn 1993.

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